Suche nach den Schuldigen

Bild: Screencopy CNN/YouTube (Montage)

19. November 2015

Nach den grausamen Anschlägen in Paris gab es weltweit unzählige Solidaritätsbekundungen. Aber wie schon bei allen vorangegangenen Attentaten preschen einige Presseorgane mit eigenen Interpretationen, Schuldzuweisungen und Forderungen voraus.
In Deutschland ist dies oftmals die BILD-Zeitung und da verwundert es nicht, wenn Cicero-Redakteurin Petra Sorge sich Gedanken macht:

Denn damals hatte BILD-Chefredakteur Julian Reichelt aus den USA kommentiert:
US-Geheimdienstler und Militärs „sind sich einig, dass niemand der Verhinderung von Terroranschlägen so sehr geschadet hat wie Edward Snowden mit all dem, was er über technische Überwachung enthüllt hat…
Der Westen befindet sich im Krieg gegen den islamistischen Terrorismus“.
Aber nein, diesmal versteckte sich Herr Reichelt lieber hinter einem Link auf einen Politico-Artikel über CIA-Direktor John Brennan.
Brennan hat eine schlichte, überschaubare Sicht der Dinge:
Die Snowden-Veröffentlichungen

  • haben die Arbeit der Geheimdienste behindert und ausgebremst
  • haben in Europa zu einer völlig falschen Sichtweise der Arbeit der Dienste geführt
  • sind Unterlagen, mit denen die Terroristen „zur Schule gegangen“ sind!
  • haben technische und gesetzliche Hürden aufgebaut, die verhindern, dass die Dienste Zugriff auf nicht verschlüsselte Daten haben.

Aber dann hat Reichelt mutig noch eine Serie von 4 Tweets hinterhergeschickt, in denen er entrüstet konstatiert, dass Edward Snowden zu Paris noch kein Statement abgegeben hat… Bravo!
Schon einen Tag nach den jüngsten Anschlägen von Paris benennt „The Daily Dots“ die Scharfmacher, die versuchen die tragischen Ereignisse zu nutzen, um ihre Verschwörungstheorien zu „belegen“.

Es ist so wie immer: Es wird nicht die Frage gestellt, warum Geheimdienste und Polizei schon wieder versagt haben, warum sie die schrecklichen Ereignisse nicht verhindern konnten. Regierungen und Geheimdienste nutzen die Lage, um noch mehr Ressourcen und erweiterte Befugnisse zu fordern, damit so etwas in Zukunft nicht wieder passieren könne.
Der US-Sicherheitsexperte Christopher Soghoian benennt die tatsächliche (unfreiwillige) Quelle der Verschlüsselungswerkzeuge der Terroristen: Die US-amerikanischen Steuerzahler!

Der weltweit meist zitierte Artikel zur Frage der Schuld an den tragischen Ereignissen stammt aber von Glenn Greenwald, der den Anschuldigungen akribisch nachgeht und zu folgenden Ergebnissen kommt:

  • Terroristen haben Verschlüsselung nicht erst seit Snowdens Enthüllungen (Juni 2013) benutzt sondern sogar schon lange vor dem schrecklichen Anschlag vom 11. September 2001.
  • Auch die Terroranschläge 2002 in Bali, 2004 in Madrid, 2005 in London, 2008 in Mumbai und 2013 beim Boston Marathon konnten von den Geheimdiensten nicht verhindert werden, lagen aber lange vor Snowdens Veröffentlichungen!
  • Wenn Terroristen im Geheimen kommunizieren wollen, dann haben sie schon immer Wege gefunden.
  • Das neuerliche Versagen der Geheimdienste ist der eigentliche Grund für die koordinierte Kampagne gegen Snowden…

Und ungeachtet all dieser Fakten, nutzt der ehemalige CIA-Direktor James Woolsey die Gelegenheit, seine Statements vom Dezember 2013 jetzt beim Nachrichtensender CNN zu wiederholen:

Ich glaube, dass das Blut vieler dieser jungen Franzosen an Snowdens Händen klebt.
Ich würde gegen ihn die Todesstrafe verhängen, und ich würde es vorziehen zu sehen, wie er gehenkt wird, statt ihn nur durch einen Stromschlag zu töten.

US-Überwachung gestoppt – für zwei Tage

Bild: White House (public domain)

2. Juni 2015

Die massenhafte Speicherung von Kommunikationsdaten US-amerikanischer Bürger auf Grundlage des sogenannten „USA Patriot Act“ durften die US-Geheimdienste nur bis Ende Mai 2015 vornehmen.
Dieses nach den Anschlägen des 11. September 2001 vom Kongress im Zuge des Krieges gegen den Terrorismus verabschiedete und von US-Präsident George W. Bush abgesegnete Gesetz war in den vergangenen Jahren immer wieder verlängert worden.
Nach den Enthüllungen des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden über die NSA-Spähprogramme hatte Obama aber eine Reform versprochen. Der „USA Patriot Act“ widersprach so offensichtlich mehreren Grundsätzen der US-Verfassung, dass eine Fortführung des Gesetzes auch im US-Senat keine Mehrheit mehr fand.
Nach zwei Tagen ohne (erlaubte) Überwachung ist nun der sogenannte „USA Freedom Act“ vom Senat gebilligt worden, der letzten Monat schon das Repräsentantenhaus passiert hatte. Die Verbindungsdaten innerhalb der USA werden nach einer halbjährigen Übergangszeit nur noch bei den Telefonkonzernen gespeichert. Ihre Freigabe für US-Dienste muss für jeden Einzelfall begründet bei einem Spezialgericht beantragt werden.
Alle US-amerikanischen Überwachungsaktivitäten außerhalb der USA wurden niemals in Frage gestellt und bleiben (selbstverständlich) unverändert bestehen!